Resilienz – ein kluger Schachzug

Unberechenbarkeit wird immer mehr zur neuen politischen Norm. Dadurch entstehen enorme Risiken für Markt und Wirtschaft. In diesen Zeiten müssen Unternehmen, egal welcher Branche, besonders für Krisen gewappnet sein, fordern die Forschenden des Fraunhofer IML. Während Zölle, Katastrophen und Kriege die nächste Krise vor sich hertreiben, schreitet der technologische Fortschritt immer weiter voran. Forschende geben Empfehlungen, wie Unternehmen sich rüsten können.

Es ist still in der Fertigungshalle – ohrenbetäubend still. Jede Minute, in der kein Auto über das Band rollt, kein Mitarbeiter Teile montiert, kein Blech geschweißt wird, kostet Geld. Und das alles nur wegen einiger kleiner Bauteile – ein paar Nanometer groß. Die Chipkrise versetzt die Automobilbranche in Schock: So berichtete Reuters bereits im März 2021, dass VW wegen des Chip-Engpasses etwa 100 000 Fahrzeuge nicht produzieren konnte. Wie Springer Professional Anfang Januar 2022 feststellte, hätten sämtliche Automobilhersteller seit Beginn 2021 aufgrund der Halbleiter-Knappheit immer wieder ihre Bänder anhalten müssen. Eine zu diesem Zeitpunkt vorliegende Schätzung von ging davon aus, »dass die Automobilhersteller aufgrund des Chipmangels Fahrzeuge im Wert von 210 Milliarden US-Dollar nicht produzieren« konnten. 

Dieser Rückgang schlug auch auf die Zulieferer der Automobilhersteller durch: Sie blieben auf ihren Teilen sitzen, andere Branchen wie die Spielekonsolenindustrie waren ebenfalls erschüttert. Damals waren es auch die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China und die daraus resultierenden Zölle, die die Krise ins Rollen brachten. Die betroffenen Unternehmen sind sich einig: Dieses Ausmaß hätte niemand ahnen können. 

Unternehmen stehen vor der Notwendigkeit, sich permanent neuen Bedingungen anzupassen

»In einer akuten Krise geht es aber nicht um die Frage, warum wir das nicht haben kommen sehen«, sagt Tobias Jornitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML. »Viel daran, wie Unternehmen besser auf Krisen reagieren und so für die Zukunft resilienter aufgestellt sind. Sich permanent an neue Bedingungen anzupassen und jeglichen unvorhersehbaren Krisen und Konflikten standzuhalten, ist für die Forschenden des Fraunhofer IML das, was ein resilientes Unternehmen ausmacht. Sie betonen, wie wichtig es sei, dass sich Unternehmen strategisch mit ihrer eigenen Krisenfestigkeit beschäftigen – denn die nächste Krise lässt, das unterstreichen die aktuellen Ereignisse allein im Jahr 2025, nicht lange auf sich warten. Vielmehr: Sie ist schon da, gekoppelt mit jeder Menge Unberechenbarkeit.

Die geopolitischen Spannungen waren damals ebenso schuld an der Chipkrise wie der plötzliche Anstieg der Autonachfrage kurz nach der Pandemie und Naturkatastrophen in der Nähe mehrerer Chipfabriken. Die Chipkrise ist in dem Sinne besonders, dass sie viele zentrale Herausforderungen und Megatrends in sich vereint, die in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit für noch mehr Krisen verantwortlich sein werden.

Um diese souverän zu meistern, ist es für die Unternehmen unabdingbar, entlang ihres Wertschöpfungsnetzwerks nach der Krise nicht nur in den vorherigen Zustand zurückzukehren, fordern die Forschenden. »Die Adaption und Transformation der Lieferkette in Hinblick auf die neue, veränderte Situation nach der Krise ist genauso wichtig«, betont Tobias Jonitz. Dazu müssen leitende Angestellte in Unternehmen identifizieren, wo ihre Lieferkette am empfindlichsten ist und welche Einflüsse ihre Stabilität am ehesten beeinträchtigen – so gering diese auch erscheinen mögen. Dazu lohne sich oft auch der Blick über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus, so der Resilienz-Experte.

An der eigenen Resilienz arbeiten

Je früher Unternehmen Risiken entlang ihrer Lieferketten und in der internen Organisation erkennen, desto besser können sie sich auf Krisen vorbereiten. Was logisch klingt, ist nicht immer selbstverständlich. Oft lässt der Austausch zwischen den Akteuren zu wünschen übrig. »Um Stillstand in der Supply Chain zu verhindern, braucht es zum einen mehr kollaboratives Handeln zwischen den Akteuren und zum anderen größtmögliche Offenheit«, so Jornitz. Enge Zusammenarbeit und ausreichend Transparenz zwischen den Lieferanten sei zentral für den reibungslosen Ablauf

»Um Stillstand in der Supply Chain zu verhindern, braucht es zum einen mehr kollaboratives Handeln zwischen den Akteuren und zum anderen größtmögliche Offenheit«

- Tobias Jornitz

entlang der Supply Chain. Denn wer Krisen souverän meistern will, müsse kontinuierlich an der eignen Resilienz arbeiten, heißt es beim Fraunhofer IML. Tobias Jornitz: »Resilienz zu entwickeln ist keine einmalige Aktivität, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der die Unterstützung des TOPManagements benötigt!«

Tipps, Tricks und Empfehlungen, wie Unternehmen resilienter werden und ihr Wertschöpfungsnetzwerk transformieren können, geben Forschende des Fraunhofer IML im Whitepaper »Resilienz von Wertschöpfungsnetzwerken – Den Erfolgsfaktor systematisch erschließen«, das in der Schriftenreihe »Future Challenges in Logistics and Supply Chain Management« erschienen ist.

Acht zentrale Empfehlungen haben wir an dieser Stelle kurz zusammengefasst:

Eine rote Schachfigur liegt geschlagen neben einer weißen Schachfigur.
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1. Resilienzbedarfe ermitteln: Die Unternehmen müssen identifizieren, welche Faktoren Einfluss auf ihre Lieferkette haben und wo sie besonders vulnerabel ist.

2. Kollaborativ handeln: Alle Akteure der Lieferkette müssen ganzheitlich zusammenwirken, um Störungen entgegenzuwirken und Stillstand zu verhindern.

3. Offenheit fördern: Für ein proaktives Risikomanagement sollten die Akteure im gesamten Wertschöpfungsprozess transparenter und offener sein.

4. Digitale Technologien nutzen: Digitale Methoden können den Handlungsspielraum von Unternehmen drastisch erweitern.

5. Kontinuierlich dynamisch anpassen: Um auch in Zukunft resilient zu bleiben, müssen sich die Akteure ständig und situativ mit neuen Umweltbedingungen auseinandersetzen und situativ den aktuellen Zustand evaluieren und anpassen.

6. Menschen integrieren: Die Vernetzung von Menschen mit digitalen Systemen und smarten Maschinen ist unabdingbar, sie ist ein zentraler Bestandteil der Lieferkettentransformation. Um die notwendige Resilienz zu steigern, bedarf es einer angemessenen Weiterbildung.

7. Resilienzkultur aufbauen: Menschen treffen immer noch in Unternehmen die Entscheidungen, sie müssen Resilienz als ihre Verantwortung sehen. Aktuelle Geschäftsmodelle sowie die Organisationskultur müssen vom Management hinterfragt und angepasst werden.

8. Wissen konservieren und anwenden: Um eine geeignete Resilienzstrategie zu schaffen, müssen Akteure ihr Wissen aus vergangenen Krisen sammeln, nutzen und daraus eine Strategie entwickeln.

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Tobias Jornitz M. Sc.

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