Platz für Profit und Planet – Ressourcen an Lagerstandorten sparen

Frühmorgens verlässt ein Containerschiff den Hafen Rotterdam. Es steuert Richtung Hamburg. Dort angekommen, werden Container verladen. Die Waren aus den Containern werden auf Züge oder Lkw verteilt und an ihre Zwischenziele gebracht. Hier werden die Waren in großen Hallen sortiert, gescannt, weitergeleitet, gehoben, verschoben und umgepackt. Verstaut warten sie auf ihren weiteren Weg, bevor sie irgendwann auf ähnliche Weise ihren Zielort erreichen. Dabei begleitet werden sie von ihren unsichtbaren Treibhausgas-Emissionen, die von Etappe zu Etappe mehr werden.

Der Anteil der Logistik und des Transportes von Gütern und Waren an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt nach Studien des World Economic Forum (WEF) etwa 5,5 Prozent. Da die internationale Vernetzung und die Globalisierung zunehmen, ist auch die Tendenz der Emissionen steigend. Wie hoch der Ausstoß von Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) im Einzelnen ist, kann gar nicht so leicht ermittelt werden, da jede Branche verschiedene Einflussfaktoren hat, die auf die Emissionen einwirken. Für eine Vergleichbarkeit dieser Emissionen müssen diese auch noch mit gleichen Maßstäben berechnet werden können. Genau daran wird seit Jahrzenten gearbeitet.

Als Branche ist die Logistik sehr vielfältig: Es gibt nicht nur verschiedene Transportwege, auch die Umschlag- und Lagerstandorte sind sehr unterschiedlich. Schließlich sind die Güter und Waren, die gelagert und transportiert werden, extrem vielfältig: Kleidung, Pflaster, Bananen, Schrauben, Flüssiggas, Tiefkühlkost, Chemikalien und Regale sind nur wenige Beispiele. Alles, was von A nach B transportiert wird, muss entsprechend den jeweiligen Eigenschaften gelagert und befördert werden. Hier eine Vergleichbarkeit nur für die Logistikstandorte herzustellen, ist schon allein wegen der Vielfältigkeit eine Herausforderung. »Es dürfen keine Äpfel mit Birnen verglichen werden, deshalb braucht es den international gültigen Standard«, so Dr. Kerstin Dobers, stellvertretende Abteilungsleitung der Abteilung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft am Fraunhofer IML. Sie ist die Expertin für die Berechnung von Emissionen an Logistikstandorten und hat den seit 2023 veröffentlichten, weltweit gültigen Standard »ISO 14083« für die Ermittlung von THG-Emissionen im Transportsektor mitentwickelt. Der Standard ist das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit, einiger Umwege und großer Ambitionen: Klimaneutralität.

THG-Emissionsvorgaben: Von globalen Zielen zu quantifizierbaren Werten

THG-Emissionen begleiten Politik, Wissenschaft und Unternehmen seit vielen Jahren. Schon 1992 wurde in der UNKlimarahmenkonvention vereinbart, dass alle Mitgliedstaaten ihre THG-Emissionen erfassen und regelmäßig berichten müssen. 1997 folgte das Kyoto-Protokoll, in dem vereinbart wurde, dass das sogenannte Global Warming Potential (GWP) die Umrechnung der Klimawirkung verschiedener Treibhausgase in CO2-Äquivalente ermöglicht, diese vergleichbar macht und die Einflüsse auf den Klimawandel veranschaulicht. Das Pariser Klimaabkommen 2015, das das Ziel der Begrenzung der globalen Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius festlegte, verpflichtete die teilnehmenden Länder, nationale Klimaschutzziele zu erarbeiten, diese regelmäßig zu aktualisieren und regelmäßig Berichte vorzulegen. Auch hier spielt das Erfassen der THG-Emissionen eine Rolle.

Die Europäische Union (EU) führte schon 2005 als Reaktion auf das Kyoto-Protokoll den Emissionshandel ein. Hierfür wurden sogenannte Emissionsrechte in Form von Zertifikaten an die Industrieländer verteilt, die sich dem Kyoto-Protokoll verpflichtet haben. Die Mengen der Emissionsrechte werden nach und nach reduziert, um die Emissionen langfristig zu reduzieren. Länder, die weniger Emissionskontingente nutzen, können überschüssige Zertifikate verkaufen. So entsteht der marktbasierte Ansatz des europäischen Emissionshandels. Er ist eines der zentralen Klimaschutzinstrumente der EU. Eine Grundlage hierfür bildet die Berechnung von THG-Emissionen.

2019 verabschiedete die EU-Kommission den »European Green Deal«, kurz Green Deal. Dieser sieht vor, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. 2021 folgte das EU-Klimaschutzgesetz, das die Ziele des Green Deals rechtlich bindet.

Auch in Deutschland gibt es nationale Gesetze und Verordnungen, die die THG-Emissionen reduzieren und überwachen sollen. So gibt es in Deutschland seit 2019 das Bundes-Klimaschutzgesetz, das Reduktionsziele der THGEmissionen für verschiedene Sektoren, wie beispielsweise Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft, festlegt.

Doch wie die THGEmissionen berechnet werden sollen, gaben die Konventionen oder Gesetze nicht detailliert vor. Deshalb wurde Ende der 1990er Jahre das GreenhouseGas Protocol (GHG Protocol) vom World Resources Institute (WRI) und dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) als standardisiertes Werkzeug zur Bilanzierung von THG-Emissionen entwickelt. 2001 wurde die erste Version des Standards für Unternehmen veröffentlicht. Das GHG Protocol hat einen allgemeinen Zugang zur Bilanzierung der Emissionen entwickelt, weshalb es oft für branchenspezifische Aspekte nicht ausreicht. Im Laufe der Zeit zogen weitere nach, die versuchten, die jeweiligen Spezifika der einzelnen Sektoren und Branchen auf Basis des GHG Protocol abzubilden. Trotzdem gab es noch Interpretationsspielräume, oder sie wurden international nicht einheitlich genutzt. 2012 wurde eine europäische Norm zur Ermittlung der THG-Emissionen im Transportsektor veröffentlicht, die nur in Europa Verwendung fand.

Daten: Das Fundament einer klimaneutralen Zukunft

Ein Bild von einem weißen LKW auf neutralem Hintergrund.
© nerthuz - stock.adobe.com

Ziel war es also, einen internationalen Standard für THG-Emissionen für die Logistik und Logistikstandorte zu entwickeln, der einheitlich genutzt werden kann und aussagekräftige Ergebnisse liefert. Wichtig dabei war, dass die berechneten THG-Emissionen auch den jeweiligen Verursacherstellen zuzuordnen sind und Kennzahlen abgeleitet werden können. Auch das Fraunhofer IML rund um Kerstin Dobers arbeitete seit 2019 in verschiedenen Projekten und mit verschiedenen Partnern – unter anderem mit dem »Global Logistics Emission Council« GLEC – zusammen, um den internationalen Standard voranzutreiben. Ihr Hauptthema: Logistikstandorte. Etwa zur selben Zeit, als sich die Arbeitsgruppen für den internationalen Standard formierten, veröffentlichten die Dortmunder Wissenschaftler das »REff Tool«. REff steht für Ressourceneffizienz an Logistikstandorten. Und um Ressourcen effizient nutzen zu können, braucht es Transparenz, welche die Berechnung von THG-Emissionen bietet.

Mit Hilfe des REff Tools wurden im Rahmen des Forschungsprojektes »German, Italian & Latin American consortium for resource efficient logistics hubs & transport« (GILA), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde, zwischen 2019 und 2023 jährliche Marktstudien durchgeführt. Auch nach Abschluss des Projektes werden diese mit den GILA-Partnern weitergeführt. In den Marktstudien werden Betreiber von Logistikstandorten nach Primärdaten zum jährlichen Ressourcenverbrauch und zu Logistikprozessen befragt. Während im ersten Studienjahr nur eine kleine Anzahl von 196 europäischen Logistikstandorten von 42 Unternehmen teilnahmen, nehmen mittlerweile über 150 internationale Unternehmen mit knapp 1.000 Logistikstandorten an den jährlichen Marktstudien teil, Tendenz steigend. Teilnehmende Standortbetreiber erhalten ihre individuellen THGEmissionskennzahlen, die gemäß internationalen Standards berechnet werden. Die Daten dienen übergeordnet dazu, die Umwelt-Performance von Logistikstandorten besser zu verstehen und Datenlücken zu schließen. »Bei der Erhebung der Daten geht es darum, Transparenz zu schaffen – auch für die Unternehmen selbst.«, so Dobers. Die Erkenntnisse aus den Marktstudien flossen auch in die Entwicklung des internationalen Standards ein, der 2023 als »ISO 14083« veröffentlicht wurde.

REff Tool: Vermeiden, vermindern, dekarbonisieren

Das REff Tool unterstützt Unternehmen bei der Ermittlung ihrer THG-Emissionen gemäß ISO 14083 und wurde vom Smart Freight Centre zertifiziert. Das Tool ermöglicht online die Dateneingabe, welche für die ISO-konforme THGEmissionsberechnung von Logistikstandorten erforderlich ist. Mit der kostenfreien Basis-Version können die jährlichen THG-Emissionen und der durchschnittliche Emissionsintensitätswert je Standort berechnet werden. Zusätzlich bietet das Fraunhofer IML eine lizenzpflichtige Version an, die beispielweise über 50 Standorte erfassen lässt, die berechneten THG-Emissionen detaillierter als in der Basis-Version ausweist und erweiterte Berechnungen wie beispielsweise die Berücksichtigung des Lieferantenmix für Strom oder Emissionen durch die Nutzung von Transportverpackungen ermöglicht.

»Erst wenn ich weiß, wo die Emissionen entstehen und wie hoch diese jeweils sind, kann ich geeignete Reduktionsmaßnahmen ableiten. Der Verbrauch von Ressourcen kostet Geld, wie beispielsweise für Strom oder Kraftstoffe. An solchen Stellschrauben kann ein Unternehmen Geld sparen und Ressourcen schonen. Der Schlüssel hierfür ist Transparenz, und die schafft das REff Tool« 

- Dr. Kerstin Dobers

»Erst wenn ich weiß, wo die Emissionen entstehen und wie hoch diese jeweils sind, kann ich geeignete Reduktionsmaßnahmen ableiten. Der Verbrauch von Ressourcen kostet Geld, wie beispielsweise für Strom oder Kraftstoffe. An solchen Stellschrauben kann ein Unternehmen Geld sparen und Ressourcen schonen. Der Schlüssel hierfür ist Transparenz, und die schafft das REff Tool«, erklärt Dobers. Auch ein Monitoring über mehrere Jahre, um Entwicklungen und Reduktionen zu überwachen, wird mit dem Tool ermöglicht. 

»Grundsätzlich kann man sagen: vermindern, vermeiden, dekarbonisieren. Was das im Einzelnen bedeutet, muss man individuell prüfen«, so Dobers. Beispielsweise könnten Wege und Prozesse, die notwendig sind, effizienter gestaltet und so Ressourcenverbrauch und Emissionen vermindert werden. Zudem könnte die Flotte oder die Hoflogistik elektrifiziert werden und auf erneuerbare Energieträger oder »grünen« Strom umgestellt werden.

»Grundsätzlich kann man sagen: vermindern, vermeiden, dekarbonisieren. Was das im Einzelnen bedeutet, muss man individuell prüfen«

- Dr. Kerstin Dobers

Durch die Vielfältigkeit von Logistikstandorten und weltweit unterschiedliche gesetzliche Vorgaben können bisher keine detaillierten und allgemeingültigen Empfehlungen zur Reduktion von THG-Emissionen abgeleitet werden. Denn auch wenn bisher über 900 Logistikstandorte weltweit an den Marktstudien teilgenommen haben, stehen die Forschenden weiterhin vor Herausforderungen: Die Standorte variieren hinsichtlich Dienstleistungen, Prozessen, eingesetztem Equipment und genutzten Ressourcen. Zudem sind die bereitgestellten Daten teilweise nicht vollständig, was aussagekräftige granulare Ergebnisse für einzelne Standortarten zusätzlich erschwert. Ziel der Forschenden ist es, die Datenlücken zu schließen, die Datenqualität zu erhöhen und alle Arten von Logistikstandorten verlässlich abbilden zu können. Hierfür braucht es noch deutlich mehr Unternehmen, die ihre Daten zur Verfügung stellen, und mehr Forschung zu den Standortarten. Aber schon heute ermöglichen die Marktstudien, erste Kennzahlen zu Emissionsintensitäten von Logistikstandorten abzuleiten, welche u. a. im GLEC-Framework veröffentlicht werden. Zudem nutzen Unternehmen ihre individuellen Kennzahlen für eigene Berechnungen, wie beispielsweise im Tool Eco-TransIT World, vergleichen ihre Ergebnisse mit denen der Markstudien-Benchmarks und prüfen individuelle Einsparungsoptionen.

Nachhaltigkeit in der Logistik

Besonders die Logistikbranche steht unter Druck: Durch die Globalisierung steigen die Emissionen in den Transportketten, gleichzeitig müssendurch gesetzliche Vorgaben wie den Green Deal die Emissionen stark reduziert werden. Zudem werden Ressourcen immer knapper – und damit teurer.

Die Entwicklung des internationalen Standards ISO 14083, um THG-Emissionen im Transportsektor zu berechnen, ist ein Schritt, um international Transparenz über die THGEmissionen in der Transportkette inklusive der Logistikstandorte zu schaffen.

Für Unternehmen kann das REff Tool hierfür ein Hilfsmittel sein, um die THG-Emissionen ISO-konform berechnen zu lassen. Gleichzeitig können Unternehmen hiermit Stellschrauben finden, um THG-Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und Kosten einzusparen. So können sich Logistikstandorte langfristig zukunftssicher aufstellen.

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Kontakt

Kerstin Dobers

Contact Press / Media

Dr.-Ing. Kerstin Dobers

stellv. Abteilungsleitung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft

Telefon +49 231 9743-360