Mehrweg, Einweg, gar kein Weg?

Warum nachhaltige Verpackung kein Schwarz-Weiß-Thema ist und was wirklich zählt

Wenn es um Verpackungen geht, sind viele Menschen schnell mit ihrem Urteil: Einweg ist schlecht, Mehrweg ist gut. Plastik gilt als Klimasünder, Papier als Heilsbringer. Biologisch abbaubar? Klingt perfekt. Doch wer sich ernsthaft mit nachhaltiger Verpackung beschäftigt, erkennt schnell: Die Wahrheit ist komplizierter. Viel komplizierter. Denn Verpackungen lassen sich nicht isoliert bewerten. Ob sie nachhaltig sind, hängt von zahlreichen Faktoren ab – von der Materialbeschaffung über die Transportstrecke bis zur Entsorgungsrealität. Und vor allem: von ihrem Gesamtsystemeinsatz. Eine universelle, immer richtige Lösung gibt es nicht. Nur individuelle, oft komplexe Entscheidungen – bei denen auch gut gemeinte Ansätze in die Irre führen können.

Der Verpackungsdschungel

Verpackung ist Fluch und Segen zugleich. Sie schützt Produkte, verlängert Haltbarkeit, ermöglicht weltweiten Handel – und sorgt gleichzeitig für gewaltige Mengen an Abfall. Im Jahr 2021 fielen in Deutschland laut Umweltbundesamt mehr als 19 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an. Die Politik reagiert: Mit Vorgaben wie der EU-Verpackungsverordnung »Packaging and Packaging Waste Regulation« (PPWR) will sie Material reduzieren, Recycling stärken und Mehrweg fördern. Unternehmen stehen unter Druck, grün zu handeln, ohne rote Zahlen zu schreiben. Denn oft fehlt der differenzierte Blick.

Verpackungen dürfen nicht getrennt vom Gesamtsystem betrachtet werden. Was in einem Fall sinnvoll ist, kann im nächsten schädlich sein. Ein Einwegkarton aus Altpapier, der im Wertstoffkreislauf gehalten wird, kann ökologisch besser sein als ein Mehrwegbehälter, der aufwendig rückgeführt und gereinigt werden muss – und vielleicht nach wenigen Umläufen kaputtgeht.

Materialwahl: Zwischen Mythos und Molekül

Papier gilt als ökologisch sauber – es stammt aus nachwachsenden Rohstoffen, lässt sich gut recyceln, zersetzt sich vergleichsweise schnell. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Die Herstellung von Papier ist energie- und wasserintensiv, und Frischfasern werden teils aus umstrittenen Forstquellen bezogen. Die Papierindustrie ist der fünftgrößte industrielle Energieverbraucher weltweit. Angesichts dieser Tatsachen wird die Dringlichkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit Papier umso klarer – und das Recycling umso wichtiger. Da Papierfasern mit jedem Kreislauf an Qualität verlieren und Frischfasern zugeführt werden müssen, ist das Recycling kein Perpetuum Mobile, aber es funktioniert vergleichsweise sehr gut und spart bei der Produktion einen Großteil der Wasser- und Energie-Ressourcen ein.

Kunststoffe – vor allem fossile – stehen im Ruf, die Umwelt zu vermüllen. Dabei haben sie Vorteile: Sie sind leicht, stabil, vielseitig – und in reinen Stoffströmen sehr gut recycelbar. Doch hier liegt das Problem: Längst nicht alle Kunststoffverpackungen bestehen aus reinem Material. Zudem sorgen Additive (Hilfs-/Zusatzstoffe) für Flexibilität, UV-Schutz oder Siegelbarkeit – machen das Recycling aber schwierig. Auch Kompositverpackungen, also Materialverbunde aus Kunststoff, Papier und Aluminium, stellen Sortieranlagen vor große Probleme.

Biobasierte oder biologisch abbaubare Kunststoffe erscheinen auf den ersten Blick als Lösung. Doch viele dieser Materialien bauen sich nur unter sehr speziellen Bedingungen ab – zum Beispiel in speziellen Kompostieranlagen. In der Praxis landen sie häufig im gelben Sack. Dort stören sie – genau wie in klassischen Kunststoffrezyklaten.

Recycling? Nur so gut wie das System dahinter

Recycling funktioniert nur, wenn das System funktioniert. Ein Joghurtbecher mit Papierbanderole, Aluminiumdeckel und Plastikbecher klingt durchdacht. Ein ideal recycelbarerBecher nützt allerdings nichts, wenn alles zusammen in der gelben Tonne landet oder der Becher gar nicht recycelbar ist, weil die Sortieranlage das Material nicht erkennt. Schwarze Kunststoffe beispielsweise gelten als Problemfall, weil viele Infrarotscanner sie nicht detektieren. Auch Papierbanderolen, die nicht abgezogen werden, oder falsch platzierte Etiketten können dafür sorgen, dass Verpackungen als Störstoff aussortiert werden und somit trotz bester Absicht in der Verbrennung landen.

Ein Mann schiebt Kisten in eine Klimakammer im Verpackungslabor.
© Fraunhofer IML

Hier wird klar: Die Entsorgungsinfrastruktur ist entscheidend. Deutschland hat im europäischen Vergleich ein relativ gutes Recyclingniveau. Dennoch werden große Mengen nicht stofflich, sondern energetisch verwertet. Also verbrannt. In anderen Ländern sieht es oft noch schlechter aus. Export von Müll, ineffiziente Sammelsysteme, fehlende Technologie – all das führt dazu, dass ein Produkt, das in Deutschland als vorbildlich gilt, in Süditalien zur Umweltbelastung wird. Nachhaltigkeit hängt also nicht nur vom Produkt ab – sondern auch vom Ort.

Einweg oder Mehrweg? Eine Rechenfrage – keine Glaubensfrage

Die Debatte ist ideologisch aufgeladen. Mehrweg gilt als edel, Einweg als Müll. Doch die Realität ist differenzierter. Mehrwegverpackungen – etwa stabile Kunststoffbehälter oder Glasflaschen – verursachen in der Herstellung deutlich mehr CO2 und Ressourcenverbrauch als Einweg. Sie sind erst dann ökologisch sinnvoll, wenn sie ausreichend oft verwendet werden – der sogenannte Break-Even-Point.

Wie viele Umläufe nötig sind, hängt stark vom jeweiligen System ab. Wird der Behälter z. B. regional transportiert und effizient rückgeführt, kann sich ihr ökologischer Fußabdruck schnell relativieren im Vergleich zur Einwegverpackung. Müssen aber hunderte Kilometer überbrückt werden, fällt der Vorteil schnell wiederweg. Noch gravierender: Bruch  oder Schwund. Geht ein Mehrwegbehälter nach wenigen Umläufen verloren oder kaputt, war die anfängliche Investition ökologisch vergebens. 

Ein Beispiel aus der Praxis: Die Mehrweg-Obstkisten im Lebensmittelgroßhandel haben sich über Jahre etabliert – aber nur, weil sie systematisch rückgeführt und zentral gereinigt werden. Fehlt ein Rückführungssystem oder gibt es hohe Verluste, ist Einweg oft ressourcenschonender. Genau hier zeigt sich: Mehrweg funktioniert nur mit Logistik im Rücken.

Produktschutz: Die oft vergessene Kernfunktion

Eine leere. längliche Dose auf weißem Hintergrund.
© by-studio - stock.adobe.com

Ein Aspekt, der in der Debatte oft zu kurz kommt, ist der Schutz des verpackten Produkts. Verpackung ist kein Selbstzweck – sie soll verhindern, dass Ware beschädigt oder zerstört wird. Denn der ökologische Schaden durch die Ersatzlieferung oder Entsorgung eines beschädigten Laptops, einer verdorbenen Frucht oder einer zerbrochenen Flasche ist meist um ein Vielfaches größer als der ökologische Fußabdruck der Verpackung des Produkts.

Wird die Verpackung zu leicht oder instabil konstruiert, steigt das Risiko für Transportschäden. Eine vermeintlich »nachhaltige « Verpackung kann so zum Bumerang werden. Nachhaltigkeit bedeutet also nicht automatisch Reduktion – sondern Abwägung.

Life Cycle Assessment: Der Blick aufs Ganze

Wirklich belastbare Antworten liefert nur die Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment, kurz LCA). Sie betrachtet alle Phasen eines Produkts – von der Rohstoffgewinnung über Produktion und Nutzung bis zur Entsorgung. Dabei fließen zahlreiche Parameter ein: CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, Landnutzung, Energiebedarf. Nur so lässt sich beurteilen, ob eine Verpackung tatsächlich nachhaltig ist – oder nur nachhaltig erscheint.

LCAs zeigen, dass einfache Antworten meist falsch sind. Einweg kann besser sein als Mehrweg. Papier kann schlechter abschneiden als Kunststoff. Eine schwere Glasflasche kann mehr CO2 verursachen als eine recycelte PET-Flasche – wenn sie weit transportiert wird.

Ein Tetra Pak neben einer Glasflasche mit Milch.
© by-studio - stock.adobe.com

PPWR, Green Claims und digitale Kontrolle

Die neue EU-Verpackungsverordnung (PPWR) soll für mehr Klarheit sorgen – und für mehr Verbindlichkeit. Verpackungen sollen künftig standardisiert recycelbar sein, Wiederverwendung stärker gefördert und bestimmte Materialien schrittweise verboten werden. Die Intention ist gut – doch die Umsetzung birgt Risiken.

Kritik gibt es unter anderem an der geplanten Entgeltmodulation: Wer besser recycelt, soll weniger zahlen. Doch was »besser« ist, ist oft Interpretationssache. Die Gefahr: Verpackungen, die auf dem Papier recycelbar sind, es in der Realität aber nicht sind – sogenanntes Green Claiming. Unternehmen schmücken sich mit vermeintlicher Nachhaltigkeit, die praktisch nicht einlösbar ist.

Ein vielversprechender Ansatz ist die digitale Rückverfolgbarkeit von Verpackungen – etwa durch das Scannen von QR-Codes oder digitalen Wasserzeichen, die Informationen über Herkunft, Materialmix und Recyclingweg bereitstellen. Doch noch fehlt es an einheitlichen Standards – und an Akzeptanz.

Der Mensch als letzte Instanz

Und dann ist da noch der Mensch. Das beste System nützt nichts, wenn die Konsumenten nicht mitspielen. Wer den Papiermantel nicht vom Joghurtbecher trennt, die falsche Tonne benutzt oder Kompostierbares in den Gelben Sack wirft, sabotiert ungewollt das System. Kommunikation, Aufklärung und »Design for Recycling« werden dadurch zentral. Doch selbst klare Symbole helfen nur bedingt – wenn die Bereitschaft zur Umsetzung fehlt.

Fazit: Weniger Dogma – mehr Kontext

Ein orangefarbener Joghurtbecher, von dem der Deckel entfernt wurde.
© Himmelssturm - stock.adobe.com

Nachhaltige Verpackung ist keine Frage von »gut« oder »schlecht«. Es ist eine systemische Herausforderung, die alle Ebenen betrifft: Material, Logistik, Infrastruktur, Nutzerverhalten, Lebenszyklus. Was ökologisch sinnvoll ist, hängt vom Einzelfall ab – nicht vom Image des Materials. Wer Verpackung wirklich nachhaltig gestalten will, muss bereit sein, differenziert zu denken – und einfache Wahrheiten loszulassen. Denn nachhaltige Verpackung ist kein Standard. Sie ist Maßarbeit.

Das Verpackungsportfolio des Fraunhofer IML

Das Fraunhofer IML bietet umfassende Dienstleistungen, um Unternehmen bei der Entwicklung und Optimierung ihrer Verpackungsstrategie zu unterstützen – ökologisch und ökonomisch sinnvoll.

Die Angebote des Instituts umfassen:

Life Cycle Assessment (LCA): Durch detaillierte Lebenszyklusanalysen ermitteln die Forschenden die Umweltauswirkungen von Verpackungen. So können z. B. Emissionstreiber gezielt identifiziert und darauf basierend fundierte Entscheidungen getroffen werden, um die Nachhaltigkeit der Verpackungssysteme zu erhöhen.

Verpackungsbewertung: Die Forschenden analysieren Verpackungen und Ladungsträger nach wirtschaftlichen, technologischen und ökologischen Kriterien, um Optimierungspotenziale zu identifizieren und die Effizienz zu steigern.

Individuelle Verpackungsplanung: Das Institut unterstützt bei der individuellen Planung und Gestaltung von Verpackungssystemen mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus – von der Beschaffung bis zur Entsorgung. Dies beinhaltet auch die Auswahl von Einwegund Mehrwegsystemen, umeinen ressourcenschonenden Verpackungseinsatz zu gewährleisten.

Verpackungsprüfung: Im spezialisierten Verpackungsprüflabor des Fraunhofer IML testen die Expertinnen und Experten die Belastbarkeit und Eignung von Verpackungen aus verschiedenen Materialien unter realistischen Bedingungen. Mithilfe statischer, dynamischer und klimatischer Prüfungen stellen sie sicher, dass die Verpackungen allen logistischen Anforderungen gerecht werden.

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