Digitale Helfer in der Not

Blumen im Haar, Glitzer im Gesicht, Netztops, nackte Haut. Im Juli 2010 machen sich Tausende auf den Weg nach Duisburg, um zu feiern, zu raven, zu tanzen. Sie sind auf dem Weg zur Loveparade. Auf dem Weg zum Gelände müssen die Feiernden durch einen engen Tunnel. Gleichzeitig machen sich andere auf den Rückweg. Der Tunnel wird zum Nadelöhr. Der Ansturm ist riesig, es ist eng, es bricht Panik aus. Während die Einsatzkräfte vor Ort versuchen, die Lage in den Griff zu bekommen, werden Rettungskräfte alarmiert, die sich um die Verletzten kümmern. 

Krisen wie die Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg, der Großbrand im Grunewald oder das Hochwasser im Ahrtal haben eines gemeinsam: Sie binden viele Rettungsund Einsatzkräfte und sie verbrauchen viele Materialien. Dabei kann es vorkommen, dass Materialien wie Verbände, Schmerzmedikamente oder andere Dinge knapp werden. Um in solchen und anderen Krisensituationen effizienter und effektiver handeln zu können, wurde das interdisziplinäre Forschungsprojekt »ResKriVer – Kommunikations- und Informationsplattform für resiliente krisenrelevante Versorgungsnetze« ins Leben gerufen, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) über drei Jahre gefördert wurde. Das Fraunhofer IML hat im Rahmen dieses Projektes gleich zwei Anwendungen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) in Zusammenarbeit mit der Berliner Feuerwehr entwickelt, die Entscheidungsprozesse der Krisenstäbe unterstützen können. 

Unterstützen – ohne den Regelbetrieb zu gefährden

Für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), wie die Feuerwehr, die Rettungsdienste, Hilfsorganisationen und die Polizei sind solche Krisensituationen eine große Belastung und Herausforderung. Sie sind dafür zuständig, dass Schutzausrüstungen, Ersatzteile für Einsatzfahrzeuge und medizinische Utensilien verfügbar sind und bleiben. Werden Materialien in den betroffenen Gebieten knapp, werden BOS in anderen Regionen in der Nähe angefragt, ob sie Hilfsgüter abgeben können, ohne ihren eigenen Regelbetrieb zu gefährden.

Das Bild zeigt mehrere Rettungskräfte, die im Einsatz an einer ländlichen Straße sind.
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Der vom Fraunhofer IML und der Berliner Feuerwehr entwickelte Dienst zur »Aufrechterhaltung des Regelbetriebs bei Abgabe von Hilfsgütern in globalen Krisen (ReCheck)« ist eine einfache, webbasierte Anwendung, der die angefragten BOS bei der Entscheidung unterstützen kann. Wird ein Artikel wie »Kompresse« eingegeben, führt das OTD NETWORK Supply-Chain-Simulationstool des Fraunhofer IML einen Simulationsdurchgang durch. Hierbei berücksichtigt es Lagerbestände, historische Verbrauchsdaten und Bestellpolitiken. Die Ergebnisse der Simulation werden als Ampel in einem Dashboard dargestellt, das direkt einen Überblick gibt und zeigt, welche Artikel ohne Einschränkungen des Regelbetriebes abgegeben werden können.

Resilient – auch wenn globale Lieferketten gestört sind

Während der Corona-Pandemie hat sich drastisch gezeigt, dass auch globale Probleme bei der Verfügbarkeit von Materialien, wie Masken oder Antibiotika, auftreten können. Aber auch lokale Ereignisse, wie die Blockade des Suezkanals, haben große Auswirkungen auf globale Lieferketten und können somit Unternehmen und BOS hart treffen. Um frühzeitig auf solche Ereignisse reagieren zu können und im Idealfall sogar Lieferengpässe ganz zu vermeiden,entwickelten die Forschenden den Dienst zur »Evaluierung der Versorgungssicherheit (EvaVe)«. In der Anwendung funktioniert er ähnlich wie ReCheck: Er ist eine webbasierte Anwendung, die die eingegebenen Störungen, wie eine Seewegblockade, simuliert und die möglichen Auswirkungen mithilfe einer Ampel im Dashboard sichtbar macht. In einem nächsten Schritt können dann aber auch Handlungsempfehlungen generiert werden. Die Kopplung des Simulationstools mit KI ermöglicht es, eine Vielzahl von möglichen Lösungsansätzen in kürzester Zeit durchzuspielen und so zu sehen, welche Ansätze eine Besserung herbeiführen und welche Kosten hierbei entstehen würden. 

Digitalisieren – um Krisen besser zu managen

Vor allem in Krisensituationen ist eine verlässliche Entscheidungsunterstützung unerlässlich. ReCheck und EvaVe sind zwei Dienste, die Auswirkungen von Versorgungsengpässen prognostizieren und spezifische Informationen sammeln, generieren und kommunizieren können. Allerdings brauchen beide Dienste eine solide Datengrundlage, wie beispielsweise Lagerbestände, Verbrauchsdaten, Bestellpolitiken und Daten zu den Lieferketten, um zuverlässige Simulationen zu generieren. Eine Umfrage der Berliner Feuerwehr unter Angehörigen von BOS hat ergeben, dass nur rund ein Drittel der befragten Organisationen digitalisierte Warenwirtschaftssysteme nutzen. Bei der Bestellung und Beschaffung waren es nur etwa zehn Prozent der teilnehmenden BOS, somit ist eine flächendeckende Nutzung aktuell kaum vorstellbar. Durch die Digitalisierung der BOS könnten in Zukunft Krisenlagen aber deutlich effizienter und effektiver bewältigt werden und so die Folgen minimieren.

Solide – auch für Unternehmen

Aktuell arbeitet das Fraunhofer IML an einer Dienstleistung, die die Resilienz der Lieferketten von Unternehmen in den Blick nimmt. Im Projekt ResiOpt entwickelten die Forschenden das Supply Chain Risk Assessment, das die Resilienz in Lieferketten steigern soll. Hierbei werden die Liefernetzwerke analysiert und anschließend ein Maßnahmenkatalog generiert, der Risiken durch Unterbrechungen in der Lieferkette effektiv minimieren kann.

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Johanna Kim Keßler M. Sc.

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Johanna Kim Keßler M. Sc.

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