Was bewegt wird, muss auch bezahlt werden

Traditionelle Lieferketten wie auch zukünftige, in Plattform-Ökonomien eingebettete Wertschöpfungsnetzwerke erfordern das Zusammenwirken unzähliger Akteure und Prozesse. Lieferanten von Rohstoffen, Vorprodukten und Fertigwaren interagieren mit einer Vielzahl von Kunden, Dienstleistern und Behörden. Neue digitale Geschäftsmodelle entstehen und nutzen Schlüsseltechnologien wie Blockchains, Smart Contracts, KI oder IoT, um Warenflüsse und Produktionsprozesse zu orchestrieren und immer weiter zu automatisieren. Gleichzeitig gilt es, die zu den Warenströmen gegenläufigen Finanzflüsse durch innovative Finanzprodukte zu optimieren und der Geschwindigkeit und Effizienz digitaler Geschäftsmodelle anzupassen.

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Das im Januar 2021 gestartete Forschungsprojekt »Safe Financial Big Data Cluster« (safeFBDC) unterstützt datengetriebene Geschäftsmodelle, wie z. B. die Silicon Economy of Logistics, indem es eine sichere Infrastruktur für den organisationsübergreifenden Austausch von Finanzdaten aufbaut. Gleichzeitig werden KI-Anwendungen entwickelt, um die stetig wachsenden Datenmengen für Unternehmen, Finanzinstitute, Startups, öffentliche Akteure und Forschungseinrichtungen adressatengerecht aufzubereiten. Für dieses Forschungsprojekt erhielten das Fraunhofer IML sowie zehn weitere Projektpartner vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Fördergelder in Höhe von etwa 10 Millionen Euro. 

Das Projekt ist in verschiedene Arbeitspakete unterteilt, die sich u. a. mit den Themen Geldwäscheprävention, Sustainable Finance oder Betrugsbekämpfung befassen. Die Forscher des Fraunhofer IML verantworten das Teilprojekt »Stable Supply Chain Finance» und werden mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft durch das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST unterstützt, Daten aus den realwirtschaftlichen und den korrespondierenden finanziellen Lieferketten für das FBDC verfügbar zu machen. »Unsere Mission ist es, mithilfe von Daten und Technologien der Industrie 4.0 die Finanzierung von Lieferketten und Wertschöpfungsnetzwerken resilienter und nachhaltiger zu machen«, erläutert Projektleiter Gerhard Schipp, Abteilung Einkauf und Finanzen im Supply Chain Management am Fraunhofer IML.

Sicheren Zugang zu relevanten Finanzmarktdaten

Gleichzeitig will das Forschungsprojekt safeFBDC datengetriebenen Geschäftsmodellen im Finanzsektor europaweit den Weg ebnen und kooperiert hierzu auf europäischer Ebene eng mit dem GAIA-X Projekt. »Finanzinformationen sind unverzichtbare Voraussetzung für vielfältige Risikomanagementanwendungen und Finanzierungslösungen in den immer komplexer werdenden Wertschöpfungsnetzwerken. Die Heterogenität der Datenquellen und die schiere Menge der verfügbaren Daten können nur noch mithilfe von künstlicher Intelligenz verarbeitet werden. Das safeFBDC legt den Grundstein für eine zukünftige Dateninfrastruktur, die den sicheren organisationsübergreifenden Austausch und die Nutzung von Finanzdaten durch Wissenschaft, Aufsicht und Industrie unter Wahrung der individuellen Datensouveränität gewährleisten soll«, sagt Dr. Axel Schulte, verantwortlicher Abteilungsleiter am Fraunhofer IML. »Hinzu kommt, dass immer mehr cyber-physische Systeme, Edge-Computing- und IoT-Anwendungen Daten bereitstellen, die geeignet sind, Finanztransaktionen auszulösen und Geldströme zu steuern«, betont Prof. Michael Henke, Institutsleiter am Fraunhofer IML und fügt hinzu: »Wir freuen uns darauf, in unserer Arbeitsgruppe ›Stable Supply Chain Finance‹ neue datengetriebene und KI-gestützte Anwendungen im Financial Supply Chain Management anzustoßen.«

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Blockchain-Technologie bringt notwendige Sicherheit

Welche Daten relevant sind und mit welchen Technologien sie bereitgestellt werden, hängt laut Gerhard Schipp von der jeweiligen Lieferkette ab. »Sehr viele Daten sind in ERP- und IT-Systemen der Akteure bereits vorhanden oder können aus unterschiedlichen Plattformen und B2B-Anwendungen abgeleitet werden. Ein Beispiel ist die elektronische Rechnung. Wenn Unternehmen Bestellungen, Auftragsbestätigungen und Rechnungen über eine elektronische Plattform austauschen – wie es in Italien beispielsweise zumindest für die Rechnung gesetzlich vorgeschrieben ist –, dann hätten wir die Grundgeschäfte schon einmal sicher erfasst«, betont der Finanzexperte. Diese Daten müssten dann nur noch in eine Struktur gebracht werden, die es ermöglicht, dieses sehr heterogene Material – angefangen bei einem Stück Papier bis hin zu einem strukturierten Datensatz – aufzunehmen. »Hier bietet sich die Blockchain-Technologie an, die Daten verlässlich und nicht manipulierbar speichert und zielgerichtet bereitstellt. Dieses Vertrauen ist bei Finanzierungs- und Kreditgeschäften unerlässlich«, so Gerhard Schipp.

Pay-per-Use Supply Chain Finance

Ein konkreter Anwendungsfall »Pay-per-Use Supply Chain Finance« verprobt unmittelbar die im Teilprojekt erarbeiteten Grundlagen zur Gewinnung und gezielten Bereitstellung von finanzierungsrelevanten Daten in Industrie-4.0-Geschäftsmodellen. Pay-per-Use beschreibt ein nutzungsabhängiges Abrechnungsmodell, bei dem nur genutzte Leistungen berechnet werden. Der Nutzer hat den Vorteil, dass er sehr kostenintensive Produktionsanlagen nicht mehr kaufen, sondern nur noch für deren Nutzung zahlen muss.

»Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus bieten ihren Kunden bereits heute nicht nur Finanzierungen und Leasing, sondern auch Pay-per-Use-Modelle an. Die Kunden bekommen neben den Maschinen häufig auch Verbrauchsmaterial und Serviceleistungen zur Verfügung gestellt und zahlen dann nur für den Output der Maschine. Über in den Anlagen verbaute Sensorik bis hin zum digitalen Zwilling haben Hersteller und Nutzer die Maschine permanent unter Beobachtung«, sagt Gerhard Schipp und ergänzt unter dem Hinweis auf die für diesen Prozess notwendigen sicheren Datenstrukturen: »Dies ist ein sehr wichtiger Punkt in unserem Financial Big Data Cluster. Wir wollen Finanzdaten und Marktdaten aus dem FBDC mit Nutzungsdaten der Maschinen sicher zusammenbringen und mithilfe Künstlicher Intelligenz aufbereiten, um die mit der Finanzierung der Maschine verbundenen Investitionsrisiken zu berechnen. Über Smart Contracts und Blockchain werden dann automatisch die Rechnungslegung, die Bezahlung und die Finanzierung von Materialflüssen angestoßen.« Die Zusammenführung von Finanzdaten aus einem FBDC und Maschinendaten aus IoT-Anwendungen ermöglicht neue Finanzierungsansätze, die auf viele weitere Anwendungsfälle skalierbar sind.