Der Fluch der überdimensionierten Kartons

Stellen Sie sich vor, Sie bestellen online ein kleines Produkt – vielleicht eine Speicherkarte oder ein handgefertigtes Schmuckstück. Das aufregende Warten beginnt; was aber schließlich vor Ihrer Haustür landet, ist ein Paket, das groß genug ist, um einen kleinen Hund aufzunehmen, und gefüllt ist mit jeder Menge Polstermaterial. Frustrierend, oder? Hier kommt CASTN ins Spiel, die Software für Kartonset-Optimierung.

Containerbeladung
© Fraunhofer IML
zwei Männer packen Pakete in einen Container

Wir alle haben es schon erlebt: Ein winziges Produkt, das in einem riesigen Karton verloren geht. Es fühlt sich an, als würde man eine Schachtel Luft bestellen und eine Portion Produkt dazubekommen. Aber warum passiert das überhaupt? Die Antwort liegt in der fehlenden Abstimmung von Artikeln und Kartons. Unternehmen haben im Laufe der Zeit eine bunte Mischung von Kartonarten angesammelt, um den unterschiedlichen Anforderungen ihrer Produkte gerecht zu werden. Das klingt zwar vernünftig, führt aber oft dazu, dass Kartons und Artikel nicht aufeinander abgestimmt sind und winzige Produkte in viel zu großen Kartons landen. Die ineffiziente Nutzung von Platz und Material sind die Folgen. Damit sich das endlich ändert, gibt es CASTN – Rettung in Form einer Software. CASTN steht dabei für Carton Set Optimization und ist eine intelligente Software, die eine optimale Kartonkombination für versendende Unternehmen zusammenstellt, abgestimmt auf deren individuelle Auftrags- und Artikelstruktur. Dahinter steckt die Idee, den perfekten Kompromiss zwischen Vielfalt und Volumenauslastung zu berechnen, der mit einem VersandkartonagenSet erreicht werden kann. 

Komplexes Zusammenspiel von Software und Daten

Wie das funktioniert? Nun, es gibt keinen wirklichen Zauber, sondern eher eine clevere Kombination aus Daten, Algorithmen und Technologie. CASTN stützt sich auf eine Fülle von Informationen über Produkte, Bestellungen und Kartonarten. Die Software basiert also auf Daten und ist auf Eingaben von Kunden angewiesen, um maßgeschneiderte Lösungen zu erstellen. Zu diesen Daten gehören Artikelund Stammdaten, Bestelldaten und aktuelle Karton-Spezifikationen. Um saisonale Schwankungen und Trends mit zu berücksichtigen, bildet ein repräsentativer Datensatz von etwa einem Jahr die Grundlage für die Berechnungen. »Wir haben einen gewissen Anspruch an die Daten, die wir benötigen, denn die Optimierung ist auch immer nur so gut wie die Qualität der Stammdaten. Weil – salopp gesagt – wenn man Mist hineingibt, kommt auch Mist heraus«, erklärt Lukas Lehmann, Projektverantwortlicher am Fraunhofer IML. Daher erfolgt standardmäßig im zweiten Schritt eine Datenvorverarbeitung, um defekte, fehlerhafte, oder aus dem Raster fallende Daten herauszufiltern und eine verlässliche Basis zu schaffen. Der dritte Schritt ist die Status-quoBerechnung, bei der der Volumennutzungsgrad für das bestehende Kartonset des Kunden ermittelt wird. Häufig liegt dieser bei unter 40 Prozent – der Rest ist Luft.

Der Zauber hinter den Kulissen

Dann beginnt die eigentliche Magie: die Kartonset-Optimierung. Die Funktionsweise der CASTN-Software basiert auf zwei miteinander verknüpften Algorithmen, die in einer Schleife arbeiten. Dieser zweistufige Prozess zielt darauf ab, die Kartonsets iterativ für eine optimale Volumenauslastung »feinzutunen«. Der erste Algorithmus, CASTN, verwendet einen evolutionären Ansatz, um verschiedene Kartonsätze auf der Grundlage von Parametern wie der Anzahl der zulässigen Kartons oder der maximalen und minimalen Abmessungen zu erstellen. Der zweite Algorithmus, ein BinPacking-Algorithmus, sorgt dann dafür, dass die Bestellungen effizient in die ausgewählten Kartons gepackt werden, ähnlich wie beim Spiel Tetris. »Was wir am Ende erhalten, sind die konkreten Kartonsets, also zum Beispiel das optimale 5er-Set mit jedem einzelnen der fünf Kartons mit Länge, Breite, Höhe und auch der Häufigkeit der Verwendung. Das haben wir dann auch noch einmal für jedes weitere Kartonset, also für ein 6er- oder 7er-Set – je nach Bedarf eben«, erläutert Lehmann. Das Leistungsangebot rund um CASTN bietet eine ganzheitliche Lösung, die die kundenindividuellen vor- und nachgelagerten Logistikprozesse berücksichtigt und über die reine Berechnung hinausgeht. Es beinhaltet eine Beratungskomponente, die sicherstellt, dass das erstellte Kartonagenset optimal in die logistischen Prozesse des Unternehmens integriert wird. Die Ergebnisse aus Industrieprojekten mit den Unternehmen Nordwest und Babymarkt zeigen bereits vielversprechende Erkenntnisse: Im Durchschnitt ließ sich die Volumenausnutzung um 35 bis 45 Prozent steigern, bei gleichzeitiger Reduzierung der Anzahl der Kartonvarianten im Set.

Stapel von Paketen
© Fraunhofer IML
gestapelte Paketen

Mehr als nur Kartons

Die Vorteile von CASTN gehen weit über das reine Verpacken hinaus. Die Software ermöglicht es Unternehmen, zukünftigen Vorschriften gerecht zu werden, und hilft ihnen, die Komplexität zu reduzieren und Verpackungsprozesse zu optimieren, was zusätzlich zu Kosteneinsparungen führt. »Wir beobachten aktuell eine interessante Entwicklung im Verpackungsbereich. Während bisher primär die Verpackungskosten im Fokus standen, rückt jetzt die ökologische Nachhaltigkeit immer stärker in den Vordergrund. Da sich ökologische Faktoren aber auch positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirken können, wie man am Beispiel CASTN sieht, entwickelt sich eine bislang weitestgehend gegenläufige Ausrichtung zu einer sich ergänzenden. Nachhaltigkeit geht perspektivisch also Hand in Hand mit wirtschaftlichen Vorteilen«, erklärt Lehmann. Der Gesetzesentwurf der Packaging and Packaging Waste Regulation unterstreicht diese Entwicklung noch: Sie sieht für Um- und Transportverpackungen ein Leerraumverhältnis von maximal 40 Prozent vor. Die EU-Verordnung verdeutlicht, dass das Thema ökologische Nachhaltigkeit zunehmend zu einer Bedingung für Versandhandelsunternehmen wird und damit auch zu einem wirtschaftlichen Faktor. 

Ein Blick in die Zukunft

Aktuell ist das Team um CASTN auf der Suche nach geeigneten Partnern und einer Anschlussförderung für die Weiterentwicklung der Software. »Unser nächstes Ziel ist es, den Funktionsumfang um komplexe Geometrien und zusätzliche Artikeleigenschaften zu erweitern. Hier liegen weitere große Potenziale, um perspektivisch die Luft aus den Paketen zu lassen, Verpackungsmaterial einzusparen und somit für eine nachhaltigere Paketlogistik zu sorgen«, so Lehmann. Denn: CASTN öffnet die Tür in eine nachhaltigere Zukunft des E-Commerce. Weniger Platzverschwendung bedeutet weniger Transportkosten und weniger Emissionen. Weniger Polstermaterial bedeutet weniger Abfall. Es ist der Blick in eine Zukunft, in der Unternehmen nicht nur wirtschaftliche Vorteile genießen, sondern auch einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Eine Zukunft, in der winzige Produkte nicht mehr in riesigen Kartons verloren gehen.

Lukas Lehmann, M. Sc.

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Julius Mackowiak

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