Prof. Michael Henke im Interview

»Die Blockchain hat ein riesiges Potenzial, wenn man sie mit anderen Technologien verbindet«

Prof. Michael Henke, Institutsleiter am Fraunhofer IML, spricht im Interview mit »Logistik entdecken« über die Arbeit des Projekts zum Aufbau eines europäischen Blockchain-Instituts und seine Bedeutung für die Silicon Economy.

 

Herr Prof. Henke, es scheint, als lege sich der Hype um die Blockchain langsam. Wo sehen Sie das Potenzial der Technologie?

Ja, der erste Hype um die Blockchain ist vorbei. Wie bei anderen neuen Technologien auch wurde sie zuerst in den Himmel gelobt, um dann ebenso schnell wieder abgeschrieben zu werden, weil sie natürlich nicht die einzig und allein funktionierende Lösung für alle Probleme ist. Es wäre aber völlig verkehrt, sie jetzt in die Versenkung zu verbannen. Die Blockchain hat ein riesiges Potenzial, wenn man sie mit anderen Technologien verbindet. In Dortmund stellen wir uns deshalb die Frage, wie man das Internet der Dinge mit der Blockchain und Künstlicher Intelligenz zusammenbringen kann. So haben wir z. B. im LoadRunner-Projekt die zellularen Fördersysteme der neuesten Generation mit KI ausgestattet und mit der Blockchain verbunden. Diese können sich nicht nur autonom auf dem Shopfloor sehr schnell bewegen, sondern im Hintergrund mit Hilfe einer Blockchain alle dazugehörigen Prozesse vom Verhandeln über den Förderauftrag, das Schließen sogenannter Smart Contracts bis hin zur finanziellen Abwicklung des Auftrags erledigen. Ein anderes Beispiel ist unsere intelligente Europalette, die mittels Trackern nicht nur Bewegungsdaten einsammeln, sondern auch Temperatur und Feuchtigkeit messen und auf einer Blockchain revisionssicher buchen kann. Mein Kollege Michael ten Hompel hat es auf den Punkt gebracht: Ohne Blockchain wird es in Zukunft kein Geschäft geben. 

Am IML läuft ja derzeit ein Projekt zum Aufbau eines europäischen BlockchainInstituts…

Wir haben im Frühjahr mit dem Projekt »blockchain europe« zum Aufbau des europäischen BlockchainInstitutes begonnen, das vom Land NRW mit 7,7 Millionen Euro gefördert wird. Ziel dieses Projektes ist es, innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre ein europäisches Blockchain-Institut mit bis zu 25 Mitarbeitern als Begegnungsort für Wissenschaftler und Praktiker zu schaffen, an dem Netzwerke entstehen und Blockchain erlebbar ist. Hier wollen wir die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie erforschen und weiter vorantreiben. Mit der Blockchain ist es ein bisschen wie mit dem Internet: Jeder von uns nutzt es heute ganz selbstverständlich. Fragt man aber danach, wie das Internet tatsächlich funktioniert, dann werden die meisten Nutzer das nicht erklären können. Das Gleiche erhoffen und erwarten wir für die Blockchain-Technologie: dass sie ganz selbstverständlich genutzt wird, auch wenn die Wenigsten die technischen Details dahinter verstehen.

Wie hat sich das Projekt seit dem offiziellen Startschuss im Mai 2020 entwickelt und woran arbeiten Sie aktuell?

Wir haben zunächst eine Task Force gebildet, um möglichst schnell erste Ergebnisse entlang der vorskizzierten Arbeitspakete zu erzielen. Wir sind bereits dabei, ein erstes blockchainfähiges IoT-Device zu entwickeln. Neben ganz konkreten Anwendungsbeispielen sollen am Blockchain-Institut auch neue Geschäftsmodelle beispielsweise zu Pay per Use oder Identitätsmanagement entstehen, wir wollen Smart Contracts mit entsprechenden Bibliotheken aufbauen und uns mit Krypto-Zahlungsmitteln auseinandersetzen. Mit dem LogCoin des Startups Ledger Engineers, einem Zahlungsversprechen in Form eines elektronischen Wechsels, haben wir ja bereits ein Beispiel, das im Dortmunder Ökosystem entstanden ist. Darüber hinaus haben wir bereits ganz konkrete Entwicklungsprojekte gestartet, u. a. zum blockchainbasierten Gefahrgutmanagement, der Bereich Zölle wird bald folgen. Der länderübergreifende Warenverkehr mit seinen Zöllen ist derzeit noch sehr kompliziert, weil jedes Land mit unterschiedlichen Dokumenten arbeitet, die oft nur papierbasiert bearbeitet werden können. Auch hierfür wollen wir eine blockchainbasierte Lösung entwickeln.

Welche Rolle nimmt das Projekt zum Aufbau des europäischen Blockchain-Instituts in NRW im Rahmen des Großprojekts »Silicon Economy Logistics Ecosystems« am Fraunhofer IML ein?

Diese beiden großen Projekte sind sehr eng miteinander verbunden. Im Rahmen des Projektes »blockchain europe« wird ein IoT-Broker aufgebaut, die Silicon Economy wiederum fußt in ihrer IT-Architektur auf insgesamt drei Brokern: dem IoT-Broker, dem Logistics-Broker und dem Blockchain-Broker. In der Silicon Economy bringen wir also diese Dinge zusammen. Die verschiedenen Devices sammeln Daten ein, die auf der Blockchain manipulationssicher abgespeichert werden, sie werden handelbar gemacht und mit Verträgen gekoppelt. Auf diese Art und Weise lassen sich logistische Prozesse ganz anders orchestrieren und optimieren. Damit haben wir zwei Umsetzungsprojekte, die synergetisch miteinander verbunden sind und ein gemeinsames Ziel haben: die Silicon Economy. „blockchain europe“ ist ein Projekt, das vom Wirtschafts- und Digitalministerium des Landes NRW gefördert wird, während »Silicon Economy Logistics Ecosystems« vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert wird. Beide zusammen versetzen uns in die Lage, Open-Source-Lösungen zu entwickeln. Das heißt, wir stellen Software, Hardware und Geschäftsmodelle barriere- und diskriminierungsfrei Open Source zur Verfügung. Jeder kann daran teilhaben, unsere Entwicklungen nehmen und weiterentwickeln. Denn ein Institut oder ein Unternehmen alleine wird diese vollständige Virtualisierung von Wertschöpfungsprozessen, die ja hinter der Silicon Economy steckt, gar nicht leisten können. 

Diese Erläuterungen sind zunächst natürlich sehr stark technologisch geprägt, aber wie immer wird es Technologie alleine nicht richten können. Wir brauchen auch das Management, um diese neue Art der Plattformökonomie zu realisieren. Und wie das Wort Ökonomie schon sagt, braucht es dafür eben auch eine neue Art des Wirtschaftens. Die BlockchainTechnologie ist ein schönes Beispiel dafür, denn wenn man eine Blockchain erst einmal entlang von Wertschöpfungsprozessen und -netzwerken implementiert hat, dann trägt sie auch dazu bei, derzeit immer noch vorhandene Machtgefälle aufgrund von Informationsasymmetrien abzubauen. Auch hier ist das Management eines Unternehmens gefragt und gefordert, das natürlich auch bereit sein muss, die Transparenz, die mit der Blockchain einhergeht, zu akzeptieren. Dass das Management sich verändern muss, haben wir schon beim Management der Industrie 4.0 gesehen, und nun wird daraus in einem weiteren Schritt ein Management der Silicon Economy.

Kann die Technologie auch im Mittelstand genutzt werden?

Ja, natürlich. Wir arbeiten bereits mit verschiedenen Mittelständlern gemeinsam an blockchainbasierten Projekten. Voraussetzung dafür ist aber immer auch ein Commitment des Managements, sich der Technologie gegenüber zu öffnen. Sie müssen dazu bereit sein, nicht nur von mehr Informationen über ihre Lieferanten zu profitieren, sondern auch selber Informationen zu teilen. Natürlich ist es auch eine Kostenfrage, aber dadurch, dass unsere Open-Source-Lösungen barriere- und diskriminierungsfrei sind, kann jedes mittelständische Unternehmen mitmachen. »blockchain europe« ist darauf ausgelegt, dass gerade auch die kleinen und mittleren Unternehmen partizipieren und davon profitieren können.

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