Neue Baustoffe aus alten Kraftwerken

Der Strukturwandel ist für das Ruhrgebiet nichts Neues. Doch mit dem endgültig beschlossenen Aus für die Kohle geht er in eine neue Runde: Im Rheinischen Braunkohlerevier werden Kraftwerke abgeschaltet und abgerissen. Doch was wird aus den Trümmern? Um zu verhindern, dass diese in großen Mengen auf den Deponien landen, wurde das Projekt »BauCycle« initiiert. Parallel haben die Forscher eine Plattform entwickelt, die alle relevanten Akteure in der Versorgungskette an einen Tisch bringt.

 

Bauschutt zu recyceln ist aufwändig und bei besonders feinen Teilen, auch »Feinfraktion« genannt, praktisch unmöglich. Denn um diese sandkorngroßen Krümel aus Ziegel, Beton, Kalk und Co. neu aufbereiten zu können, müssten sie zunächst voneinander getrennt werden. Bislang existierte jedoch kein Verfahren, um diese Sisyphusarbeit rentabel abzuwickeln. Auch eignet sich Feinfraktion nicht für den Straßen- oder Gleisbau, weil sie bei Regen Aufschwemmungen verursachen kann. Deshalb blieb bisher nur eine Möglichkeit: der Weg in die Deponie – schlecht für die Umwelt und teuer für die Abbruchunternehmen. Daher hat sich das Fraunhofer IML gemeinsam mit drei weiteren Fraunhofer-Instituten 2016 an die Arbeit gemacht und mit »BauCycle« eine Lösung für das Problem entwickelt.

© Fraunhofer IML
Optical Computing macht die Identifizierung jedes noch so kleinen Teilchens möglich.

Sortieren und Recyceln 4.0

Hierbei wird der Bauschutt über eine Hyperspektralkamera erfasst, die auch ultraviolettes und infrarotes Licht aufnehmen kann und somit mehr Details erkennt als ein menschliches Auge. Dank Optical Computing identifiziert das System jedes einzelne Teilchen, so dass eine präzise Sortierung möglich ist. Resultat sind Sekundärrohstoffe mit gleichbleibender Qualität, anders als bei der Wiederverwertung großer Mengen an Bauschutt. Aus diesen lassen sich neue Baumaterialien fertigen, wie etwa Akustikputze, Dämmrohstoffe oder Geopolymere. Das Gute daran: Diese aus wiederaufbereiteter Feinfraktion gewonnenen Produkte funktionierten im Test genauso gut wie jene aus Primärrohstoffen ohne Recyclinganteil.

Doch nicht nur die Sortierverfahren und mögliche Produkte haben die Projektteams entwickelt, sondern auch eine Marktplattform. Sie soll Abbruchunternehmen, Aufbereiter und Weiterverarbeiter zusammenbringen. »Das ist ein bisschen wie ebay, nur intelligenter«, sagt Ralf Erdmann, der am Fraunhofer IML für die Gestaltung der Plattform mitverantwortlich zeichnet. »Abbruchfirmen können Materialien aus einem Katalog auswählen und einstellen. Weiterverarbeiter geben terminierte Gesuche ab, und Sortierunternehmen haben die Chance, sich als Wertstoffmakler zu profilieren.«

 

Der ganze Markt in einer Simulation

Doch das ist nicht alles: Die Plattform ist darüber hinaus in der Lage, den extrem volatilen Markt für Baustoffe zu simulieren und Bedürfnisse zu prognostizieren. Anders als bei einer Kiesgrube, aus der sich mehrere Jahrzehnte gleichbleibende Rohstoffe fördern lassen, so dass feste Lieferbeziehungen entstehen, sind Abbruchstellen vielfältig verteilt, und sie verändern sich. Denn sobald der Abriss vollzogen wurde, versiegt die individuell sortierte Materialquelle. Hinzu kommt, dass meist unklar ist, wann genau mit den Arbeiten begonnen werden kann. Die Materialverfügbarkeit wird zudem durch Witterungsbedingungen, Genehmigungsverfahren und die jeweilige Transportsituation beeinflusst. Eine kleinteilige und vorrausschauende Planung ist daher zwingend erforderlich.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Auktionsplattformen kann »BauCycle« letztlich auch Lieferschwierigkeiten ausgleichen. Sollte der ursprünglich geplante Anbieter ausfallen, weist das System passende Alternativen aus. Denn es ist bestens über sämtliche Bedarfe inklusive Zeitpunkt und Ortsangabe informiert. Ähnlich wie bei einem Navigationsgerät bildet die Simulation verschiedene mögliche Lösungen ab und wählt dann die günstigste unter Berücksichtigung von Preis, Lieferweg und Umweltverträglichkeit aus.

 

Preisgekröntes Konzept

Zwischen Januar 2016 und März 2019 entwickelte das Team des Fraunhofer IML zunächst einen Prototyp der Handelsplattform. »Das Interesse an nachhaltigen Lösungen ist da«, sagt Jan-Philip Kopka, zuständig für Fragestellungen rund um Recyclingnetzwerke innerhalb des Projekts. Das sah auch die Jury der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB e. V. so. Es folgte eine Auszeichnung in der Kategorie Forschung anlässlich der DGNB Sustainability Challenge. »Dieses Projekt liefert einen innovativen Ansatz zur Reduzierung des Anteils von Materialien, die auf Deponien landen, und ist somit ein wichtiger Beitrag für die Zukunft des nachhaltigen Bauens«, so das Urteil der Jury.

 

Für die Zeit nach der Kohle

Das Rheinland ist das größte Braunkohlerevier Europas und von der industriellen Nutzung geprägt. Hier befinden sich riesige Tagebaue und zahlreiche Kohlekraftwerke. Mit dem Kohleausstieg bis spätestens 2038 werden diese in absehbarer Zukunft nicht mehr benötigt, so dass beim Abriss unaufhörlich große Mengen Bauschutt anfallen. »Die Logistik hat an den Kosten eines Baumaterials einen sehr viel höheren Anteil als z. B. bei Autoteilen«, merkt Kopka weiter an. Das liege an den hohen Transportgewichten und dem relativ geringen Wert der Baustoffe. »Daher ist dieser Markt sehr regional geprägt – und der für das Recycling ebenfalls.« Insofern sei es sinnvoll, Bauunternehmer vor Ort mit Aufbereitern zusammenzubringen, so dass wirksame und dauerhafte Kooperationen entstehen – ein weiterer wichtiger Schritt, um letztlich zu verhindern, dass der Schutt alter Kraftwerke zu einer anhaltenden Belastung für Mensch und Umwelt wird.

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